NERVEN | Prof. Dr. med. Helen Abel

Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Kompressionssyndrom eines peripheren Nervens beim Menschen und dessen Behandlung ist der heute am häufigsten durchgeführte handchirurgische Eingriff.

 

Der Mittelnerv (N. medianus) verläuft zusammen mit den Beugesehnen in einem mit Weichgewebe ausgekleideten knöchernen Kanal, dem Karpaltunnel. Größtenteils teilt sich der Nerv am Ausgang des Karpalkanals in seine Endäste auf. Es gibt jedoch auch anatomische Varianten des Nervs und seiner Endäste, deren Verlauf und Schonung für den Handchirurgen bei der Operation von größter Bedeutung sind.

 

In Deutschland werden jährlich circa 300.000 Karpaldachspaltungen durchgeführt, 90% davon ambulant. Die Erkrankungshäufigkeit liegt in der Bevölkerung bei etwa 2– 5%, in der Hälfte der Fälle ist die Ursache unbekannt (idiopathisch). Potentielle Ursachen für die Nervenkompression im Karpalkanal sind knöcherne Veränderungen – anlagebedingt oder ausgelöst durch Knochenbrüche –, systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, chronische Polyarthritis und Niereninsuffizienz oder hormonelle Dysbalancen bei Hypothyreose und Schwangerschaft sein. Sehr selten lösen Überbeine (Ganglien) oder Tumoren ausgehend von den Handwurzelknochen ein Karpaltunnelsyndrom aus. In mehr als der Hälfte der Fälle tritt das Karpaltunnelsyndrom beidseits auf, es gibt eine Häufung der Erkrankungen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Frauen sind deutlich häufiger betroffen. Die Kompression des Nervens im Karpalkanal verursacht eine Schwellung mit Verdickung des Nervengewebes und späterer Nervenschädigung.

 

Diagnose und Untersuchung

 

Patienten berichten über Pelzigkeit, aber auch Schmerzen an den Fingerkuppen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger (mit Ausnahme des Kleinfingers). Der Ringfinger ist auf der Seite zum Mittefinger hin taub oder pelzig. Diese Symptome treten vor allem nachts auf (Paraesthesia nocturna). Ferner zeigt sich eine Kraftminderung in der Hand, Gegenstände können aus dem Griff gleiten. Im weiteren Verlauf, wenn das Karpaltunnelsyndrom lange Zeit unbehandelt bleibt kommt es zu einer Rückbildung (sog. Atrophie) der Daumenballenmuskulatur verbunden mit deutlicher Kraftminderung beim Zugreifen.

Bei der klinischen Untersuchung werden insbesondere Gefühlsstörungen in den vom Nervus Medianus versorgten Fingern untersucht. Ferner testet die Handchirurgin  ob es beim Beklopfen des N.medianus zu Missempfindungen im Versorgungsgebiet kommt ( Hoffmann-Tinel´sches Zeichen positiv). Eine weitere häufige Untersuchungstechnik ist der Flexionstest nach Phalen. Dabei wird durch maximale Beugung des Handgelenks der Druck in dem Karpaltunnel erhöht  und  es treten bei entsprechender Nervenschädigung ebenso Missempfindungen der Finger und am Daumen auf. Sind beide Tests positiv, kann mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Karpaltunnelsyndrom ausgegangen werden. An apparativer Diagnostik wir eine elektrophysiologische Untersuchung des N. medianus durch einen erfahrenen Neurologen empfohlen. Diese hilft um den Grad der Nervenschädigung einschätzen zu können und kann als Verlaufs-bzw. Erfolgskontrolle postoperativ dienen.  Zur Bildgebung eignet sich die Ultraschalluntersuchung hervorragend. Anhand dieser kann beispielsweise   die Schwellung und Einengung des Nerven am Eingang in den karpalen Tunnel dargestellt werden, ebenso kann eine entzündliche Verdickung des Beugesehnengleitgewebes (Synovialitis) als mögliche Ursache der Nervenkompression festgestellt werden.

 

Konservative Therapie

 

Die konservative Therapie ist im Frühstadium der Erkrankung möglich. Sie besteht im nächtlichen Tragen einer Nachtlagerungsschiene des Handgelenks in Neutralstellung (0°-Position). Ebenso kann eine (einmalige!) Kortisoninjektion am Eingang des Karpaltunnels zusammen mit einem Lokalanästhetikum die Beschwerden des geschädigten N. medianus lindern, sehr häufig ist die Wirkung jedoch nur vorübergehend.

 

Operative Therapie

 

Die operative Entlastung des N. medianus sollte von einem Handchirurgen unter Lupenbrillenvergrößerung durchgeführt werden. Der Standardeingriff ist die offene Karpaldachspaltung, es gibt aber auch die Möglichkeit der minimal-invasiven (endoskopischen) Spaltung des Karpaldachs. Normalerweise kann der Eingriff in örtlicher Betäubung durchgeführt werden. Die Operation dauert je nach Befund zwischen 10 und 15 Minuten und kann ambulant durchgeführt werden.

 

Nachbehandlung

 

Es wird ein kleiner Verband für 2 bis 5 Tage angelegt, danach reicht bis zum Fadenzug ein Pflaster. Der Fadenzug erfolgt nach 12 bis 14 Tagen. Bewegungsübungen der Finger du des Handgelenkes sollten frühzeitig unter Anleitung eines Handtherapeuten durchgeführt werden. Um die Narbenheilung zu fördern, kann nach dem die Applikation eines Silikonnarbengels oder Silikonpflasters hilfreich sein. Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit beträgt je nach beruflicher Tätigkeit 1 bis 3 Wochen. Wurde hinsichtlich der Dauer der Nervenkompression mit der Operation nicht zu lange abgewartet, ist mit einer kompletten Wiederherstellung der Sensibilität der Hand zu rechnen.

 

 

Nervenverletzungen

 

In der Regel entstehen Nervenverletzungen durch eine offene Verletzung, meist Schnittverletzungen (wie beispielsweise die Avocado Hand). Prinzipiell gibt es drei Stammnerven im Bereich des Unterarms und der Hand: Nn. Ulnaris, radialis, und medianus.  Sie sind für die sensiblen Empfindungen und die Beweglichkeit von Hand und Finger verantwortlich. Entsprechend der Schädigungshöhe und des Schädigungsgrads kommt es zu einer Gefühlsminderung, einem vollständigen Sensibilitätsverlust oder sogar zu einer Lähmung der betroffenen Muskeln.

Bleibt die Nervenverletzung unbehandelt oder ist sehr weit proximal kommt es im weiteren Verlauf zu einer Muskelatrophie mit entsprechendem Funktionsverlust der nicht mehr versorgten Muskeln.

Ferner können sich an nicht wieder verbundenen Nervenendigungen durch eine übermäßige Nervenregeneration schmerzhafte Neurome ausbilden.

 

Diagnose und Untersuchung

 

Nach einer offenen Verletzung an der Hand oder den Finger muss immer die periphere Neurologie untersucht werden. Sollte sich hier ein sensibles Defizit zeigen und dieses passend zu den im Bereich der Verletzung liegenden Nerven sein, so muss die operative Exploration erfolgen. Mittels Neurosonographie kann der Nerv in seiner Kontinuität dargestellt werden. Bei geschlossenen Verletzungen oder postoperativen Nervenausfällen bedarf es eventuelle einer Nervenleitgeschwindigkeitsmessung durch den Neurologen

 

Konservative Therapie

 

Offene Verletzungen mit Verdacht auf eine Nervenverletzung sind Domänen der operativen Therapie.

 

Operative Therapie

 

Der verletzte Nerv wird unter Lupenbrillenvergrößerung oder mit Hilfe eines Operationsmikroskops dargestellt. Meist kann der Nervenstrang schlicht wieder zusammengenäht werden. Manchmal bedarf es jedoch auch einer zusätzlichen Nerventransplantation. Hierzu wird an anderer Stelle, z. Bsp. Unterarm oder Unterschenkel, ein Nerv an entnommen und zwischen die beiden Nervenenden eingenäht.

 

Nachbehandlung

 

Je nach Lokalisation der Nervenverletzung und Spannung die auf der Naht liegt, wird kurzzeitig eine Schiene zur Entlastung angelegt. Meist darf der Patient frei bewegen, Belasten ist nach 4-6 Wochen möglich. Eine Handtherapie zur Unterstützung der Nervenregeneration wird meist empfohlen. Fadenzug erfolgt nach 12-14 Tagen.

Wichtig ist zu wissen, dass es auch nach erfolgreicher Nervennaht oft mehrere Monate dauert, bis das Gefühlsempfinden im Bereich der betroffenen Fingerspitze wieder intakt ist, da der Nerv an der durchtrennten Stelle regenerieren und in seiner Leitungsbahn nachwachsen muss.

 

Neurome und Neurinome

 

Tumoren der peripheren Nerven (Schwannom, Neurofibrom) sind eher seltene Erkrankungen. Sie wachsen typischerweise sehr langsam und gehen von den Hüllstrukturen der peripheren Nerven aus.

 

Diagnose und Untersuchung

 

Nerventumore treten entweder als ein nicht schmerzhafter oder schmerzhafter Knoten unter der Haut auf. Das Beklopfen der Vorwölbung kann einen ausstrahlenden Schmerz mit begleitender, elektrisierender Missempfindung auslösen. Bei malignen Krankheitsverläufen treten auch Lähmungen des Nervs auf. Entscheidend für die Diagnostik sind hierbei kernspintomographische Aufnahmen der betroffenen Körperregion.

 

Konservative Therapie

 

Meistens handelt es sich um gutartige Tumore, so dass bei fehlender klinischer Symptomatik und geringer Größe zunächst ein abwartendes Beobachten mit regelmäßigen Verlaufskontrollen als therapeutische Option erfolgen kann.

Letztlich ist aber eine operative Entfernung des Nerventumors früher oder später ohne Alternative.

 

Operative Therapie

 

Die mikrochirurgische Tumorentfernung ist hier die Therapie der Wahl. Bei gutartigen Schwannomen kann durch sorgfältige Präparationstechnik die Nervenfunktion meist nahezu vollständig erhalten werden. Hierbei werden nur die Nervenfasern durchtrennt, die Ursprung des Tumors sind.

Bei malignen Nerventumoren ist die komplette Entfernung des Tumors im Gesunden die einzige Chance auf Heilung. Die frühzeitige Diagnose ist also essentiell wichtig. Bestrahlung und Chemotherapie werden lediglich bei inoperablen Tumoren durchgeführt, sind aber wenig wirksam, da Tumoren auch Töchtergeschwülste in anderen Organen bilden können.

 

Nachbehandlung

 

Nach der Operation wird ein lockerer Verband angelegt. Das Nahtmaterial wird nach 12 bis 14 Tagen entfernt. Das sofortige Bewegen des Fingers ist essentiell für eine gutes Ergebnis. Das Nachbehandlungsschema wird entsprechend der Operation angepasst

Das Kubitaltunnelsyndrom (Sulcus ulnaris Syndrom, Ellenrinnensyndrom, Ulnarisrinnensyndrom) ist nach dem Karpaltunnelsyndrom das zweithäufigste periphere Nervenkompressionssyndrom. Es wird durch eine Einengung des Ellennerven (Nervus ulnaris) im Ellenbogenkanal (Kubitaltunnel) „Musikantenknochen“ verursacht. Die Inzidenz liegt bei 25 auf 100.000 Patienten.

Dieses Syndrom entsteht durch eine chronische Druckschädigung des Nerven oder durch eine Arthrose des Ellenbogens. Auch repetitive äußere Druckeinwirkungen auf den Nerv, begünstigt durch eine flache Ulnarisrinne am Ellenbogen, sowie eine bei Unterarmbeugung eintretende (Sub-) Luxation des N. ulnaris sind pathognomonisch. Oftmals bleibt die Ursache jedoch ungeklärt.

 

Diagnose und Untersuchung

 

Patienten leiden unter Missempfindungen oder Taubheitsgefühlen im Bereich des  Kleinfingers, des kleinfingerseitigen Ringfingers und an der kleinfingerseitigen Handkante, insbesondere bei Beugung des Ellenbogengelenks. Im weiteren Verlauf kommt es zur Kraftminderung (Paresen) in der Hand, z. B. beim Greifen und bei der Fingerspreizung. Dem folgt letztlich eine Muskelatrophie (Muskelschwund) an der Mittelhand, der am besten zwischen Daumen und Zeigefinger erkennbar ist.

 

Der klinischen Untersuchung folgt in der Regel die Messung der elektrische Nervenleitgeschwindigkeit durch den Neurologen. Ferner können mit der Sonografie Größen- und Lageveränderungen des N. ulnaris oder komprimierende Raumforderungen in Gelenknähe (z. B. Ganglien) dargestellt werden. Auch eine Magnetresonanztomografie (MRT) kann diese Informationen liefern. Die konventionelle Röntgenaufnahme sollte insbesondere nach vorausgegangenen Unfällen durchgeführt werden da hier Verkalkungen und arthrotische Veränderungen des Ellenbogengelenks dargestellt werden können.

 

Konservative Therapie

 

Kurzfristige Immobilisierung und Polsterung in einer Schiene kann in Kombination mit Antiphlogistika-Einnahme und unterstützender Krankengymnastik durch einen Handtherapeuten zu einer Besserung führen.

 

Operative Therapie

 

Wenn die konservativen Maßnahmen nicht zu einer Schmerzlinderung führen, ist die operative Entlastung des Nervs indiziert. Hierbei wird der N.ulnaris am Ellenbogen dekomprimiert.  Dafür wird der Nerv über einen 4–6 cm langen Schnitt am Ellenbogen nach Durchtrennung der ihn einengenden anatomischen Strukturen freigelegt. Luxiert der Nerv aus seinem knöchernen Kanal, der Ulnarisrinne, bei Beugung und Streckung, so muss eine Verlagerung des Nerven erfolgen. Bei rechtzeitiger operativer Behandlung kann eine komplette Remission (Heilung) der Symptome erzielt werden, ein bestehender Muskelschwund (Atrophie) ist jedoch nicht oder nur unzureichend rückbildungsfähig.

 

Nachbehandlung

 

Postoperativ erhält der Patient einen Watteverband für eine Woche und darf frühzeitig mit Physiotherapie beginnen. Ist eine Ventralverlagerung des Nervs nötig, so bedarf es einer Schienenruhigstellung für 2 Wochen. Die Entfernung des Nahtmaterials erfolgt nach 12 bis 14 Tagen.